Wien, am 20. Juni 2024 – Mit der heutigen Einführung der neuen Verordnung zur Arzneimittelbevorratung sollen nationale Lagerbestände kritischer Medikamente erhöht werden, um auf Versorgungsengpässe und Notfällebesser reagieren zu können. Diese Maßnahme ist eine Reaktion auf Lieferengpässe von Medikamenten, die sich in den letzten Jahren vor allem durch ein fatales Dreieck von steigenden Kosten, wachsenden regulatorischen Anforderungen und beständig sinkenden Medikamentenpreisen immer weiter verschärft haben. Eine wirtschaftliche Vermarktung wird für viele Hersteller, insbesondere bei ohnehin schon sehr günstigen Generika, immer schwieriger. Das erhöht das Risiko von Marktverengungen und bedroht letztlich den Patientenzugang zu leistbaren Medikamenten.
721 relevante Medikamente sollen zukünftig per Gesetz für den österreichweiten Bedarf von vier Monaten bevorratet werden. Damit ist die Industrie jetzt verpflichtet noch größere Mengen an kritischen Arzneimitteln einzulagern. Das Problem: Die Generika-Industrie produziert bereits an der Kapazitätsgrenze, das Produktionsvolumen kann nicht einfach so erhöht werden. „Wir können nichtsbevorraten, was nicht hergestellt wird“, warnt Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes. Generika-Hersteller stehen ohnehin schon unter sehr starkem Preisdruck – eine Generikatablette kostet im Schnitt nur noch 16 Cent. Damit müssen Herstellung, Transport, Lagerung, Gebühren für die Zulassung und Arzneimittelüberwachung, die Kosten der Serialisierung und vieles mehr finanziert werden. Die Arzneimittelbevorratung bringt weitere Anforderungen an die Industrie in den Bereichen Lageraufbau, Lagerhaltung,Platzbedarf und Logistik mit sich.
In Österreichsind momentan rund 530 Medikamente im Vertriebseinschränkungsregister der BASG als nicht oder nur eingeschränkt verfügbar gemeldet. Das sind mehr als doppeltso viele wie noch 2019. 9 von 10 Medikamenten auf der Liste der kritischenMedikamente in Europa sind Generika. Diese Liste wurde von der Europäischen Kommission gemeinsam mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur und den Leitern der Arzneimittelagenturen in den Mitgliedssaaten veröffentlicht und umfasst rund 270 Wirkstoffe, die in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum als unverzichtbar gelten.
Rund ein Viertel der generischen Arzneimittel sind innerhalb von 10 Jahren bereits aus dem Europäischen Markt verschwunden, darunter Antibiotika und Krebsmedikamente. 72 Prozent der patentfreien Medikamente werden nur noch von ein bis drei Herstellern hergestellt. Weltweit gibt es für mehr als 50 Prozent der generischen Wirkstoffe nur noch weniger als fünf Generika-Hersteller.
Eine Politik, die Unternehmen zu umfangreichen Lagerhaltungen verpflichtet, kann die Dynamik des freien Marktes erheblich stören und zu einer ineffizienten Ressourcenverteilung führen. Dadurch könnte die Versorgung in anderen Märkten gefährdet werden, wie die Europäische Kommission selbst in einer Aussendung vom 17. Juli 2023 betont: „Die Bevorratung von Arzneimitteln kann die Versorgungweiter belasten und Engpässe verursachen oder verschlimmern.“ [1]
Zudem könnte sie andere Mitgliedsstaaten dazu veranlassen, ebenfalls isolierte Maßnahmen zu ergreifen, die sich gegenseitig untergraben und so die EU-weiten Bemühungen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung schwächen.
Der Österreichische Generikaverband fordert daher dringend eine koordinierte und durchdachte Herangehensweise, die sich auf nachhaltige Marktbedingungen und effizienteregulatorische Rahmenbedingungen konzentriert, anstatt auf kurzfristige Lösungen, die langfristige Probleme verschärfen könnten.
Es muss eine Balance gefunden werden zwischen immer mehr neuen regulatorischen Maßnahmen, die vor allem Kosten und Komplexität für die Hersteller erhöhen, und der Schaffung von Rahmenbedingungen, die eine nachhaltige Versorgung durch ein wettbewerbsförderndes und planbares Marktumfeld mit angemessenen Preisen fördern. So drohen der Generika-Industrie in Österreich alle zwei Jahre sogenannte Streichungsverfahren, wodurch Preissenkungen auf das jeweils niedrigste Generikum erzwungen werden können. Werden die Preise nicht gesenkt,werden die Medikamente von der Sozialversicherung aus dem Erstattungskodex gestrichen. „Alle zwei Jahre drohen der Industrie erneut erzwungene Preissenkungen. Zwei Jahre sind keine Planungsgrundlage. Vom Beginn der Entwicklung eines Generikums bis zu seiner Vermarktung dauert es zumindest 5 Jahre. Hier haben wir eine signifikante zeitliche Diskrepanz, die die Planbarkeit künftiger Generikaeinführungen massiv behindert“, so Andiel.
Die Preispolitik für Generika muss insbesondere bei versorgungskritischen Medikamentenanders gestaltet werden. Medikamente, die bereits unter der Rezeptgebühr und damit im Selbstbehalt der Patienten liegen, dürfen nicht noch weiter gedrückt werden. Dazu braucht es die Möglichkeit der freien Preisbildung in diesem Segment, um die stetig steigenden Anforderungen finanzieren zu können. Derzeit können Pharmaunternehmen Kostensteigerungen nicht weitergeben. Arzneimittelpreise zumindest an den Verbraucherpreis-Index anpassen zu können, würde die enorm steigenden Kosten wenigstens teilweise kompensieren.
Durch angemessene Preise wird die Erhaltung und der Ausbau bestehender europäischer Generika-Produktionsstätten unterstützt und es werden Investitionsentscheidungen in neue Produktion begünstigt.
Wir sind der Österreichische Generikaverband, ein Zusammenschluss von 11 Generika-Produzenten, die sich zur optimalen Versorgung der österreichischen Patientinnen und Patienten mit hochwertigen, preiswerten Arzneimitteln bekennen. Das Ziel unseres Verbands ist einerseits, die Öffentlichkeit über die Vorteile von Generika zu informieren und andererseits aktuelle gesundheitspolitische Debatten mitzugestalten. Unsere Mitglieder sind AristoPharma Österreich GmbH, Bluefish Pharma, Dermapharm GmbH, G.L. Pharma GmbH, Genericon Pharma Gesellschaft m.b.H, interpharm ProduktionsgmbH, ratiopharm Arzneimittel VertriebsGmbH, Sandoz GmbH, Stada GmbH und Viatris Austria GmbH.
[1]Union list of critical medicines: https://www.ema.europa.eu/en/news/first-version-union-list-critical-medicines-agreed-help-avoid-potential-shortages-eu